ZF in Alfdorf
Der Hauptsitz der ZF Division „Passive Safety Systems“, dem Zentrum für die Entwicklung und Komponentenfertigung von aktiven und passiven Insassenschutzsystemen, befindet sich in Alfdorf. Seit Jahren schützen die hier entwickelten, innovativen Airbag- und Gurtsysteme das Leben von PKW Insassen weltweit. Aktuell zählen sie zu den Voraussetzungen für smarte Level 2+-Assistenzlösungen im Pkw-Bereich – unter anderem für ZF coASSIST, das als branchenweit kosteneffizientestes Level 2+ System noch 2020 in Serie gehen soll. Dr. Thomas Meinders, Leiter des Bereichs Test und Validierung der Mechatronik für aktive Rückhaltesysteme, blickt gerne in die Zukunft: „Auch wenn wir vieles erreicht haben, das Potenzial an intelligenten Lösungen für den Insassenschutz ist längst nicht ausgeschöpft. Eine große Chance wäre etwa, wenn sich die auf die Insassen einwirkenden Kräfte des Rückhaltesystems über Sensorik und Kamerasysteme am aktuellen Insassen orientieren würden: an seiner Größe, seinem Gewicht, seiner Sitzposition etc. Es bleibt ein spannendes Entwicklungsfeld – gerade im Hinblick auf das autonome Fahren.“
Aktiver Insassenschutz: der Active Control Retractor
Zu den serienmäßig verfügbaren Sicherheits- und Komfortaspekten zählen der aktive Gurtstraffer ACR und das aktive Gurtschloss ACB. Der aktive Gurtstraffer (Active Control Retractor – ACR) reduziert die Gurtlose auf ein in puncto Sicherheit und Komfort optimales Maß. Die Gurtlose ist ein im Fahrzeugalltag unterschätztes Phänomen. Sie kann bis zu 10 cm betragen und steigert durch eine zeitliche Verzögerung der Rückhaltung die Verletzungsgefahr bei Unfällen erheblich.
Neuestes ACR-Serienmodell ist der ACR8. Er bietet einen reversiblen, elektromechanischen Gurtstraffer für die Pre-Crash-Aktivierung, einen nicht-reversiblen, pyrotechnischen Gurtstraffer zum erhöhten Schutz bei Unfällen und zusätzliche Komfortfunktionen.
Starkes Feature: die Gurtvibration
Der ACR8 ist auch mit Gurtvibration, der sogenannten „Haptischen Warnung“ erhältlich. Hier warnt das Gurtband den Fahrer durch hochfrequentes Pulsieren – etwa, wenn das Fahrzeug aus der Spur gerät oder zu dicht auf ein vorausfahrendes Auto auffährt. Es hält gewissermaßen Kontakt zum Fahrer, während sich Hände nicht mehr am Lenkrad, Füße nicht mehr auf den Pedalen befinden. Bei einer autonomen Notbremsung wird der Gurt noch vor dem Bremsvorgang enger gezogen und optimiert die Position der Insassen rechtzeitig. Danach stellt sich die normale Gurtfunktion automatisch wieder her. Diese „Haptische Warnung“ gilt als Schlüsselfunktion für zunehmend automatisierte Fahrzeuge. Auch hier sieht Dr. Thomas Meinders weiteres Potenzial: „Die „Haptische Warnung“ läuft kameragesteuert. Durch noch leistungsfähigere Innenraum-Kamerasysteme könnte das Gurtband in Zukunft auch vibrieren, wenn der Fahrer per Gesichtsausdruck, Puls- oder Blinzelfrequenz Müdigkeitserscheinungen zeigt oder etwa durch ein Mobiltelefon abgelenkt ist.“
Einladung zum Angurten: das Active Control Buckle
Während der ACR ein Sicherheitsprodukt ist, dient das aktive Gurtschloss (Active Control Buckle – ACB) auch Komfortaspekten. Öffnet man die Fahrzeugtür, lädt das System aktiv zum Anschnallen ein: Das ACB – auf Wunsch in Weiß oder RGB-Innenraumfarben beleuchtet – fährt nach oben und ist damit gut sicht- und leicht bedienbar. Nach dem Anschnallen zieht es sich in eine niedrigere Position zurück und optimiert so die allgemeine Gurtposition und Schutzwirkung. Insbesondere bei integrierten Kindersitzerhöhungen in Familienfahrzeugen kann durch das ACB der Schlosskopf automatisch der variablen Sitzhöhe angepasst werden. Bei potenzieller Unfallgefahr wird der Insasse durch eine reversible Straffung an Schulter- und Beckengurt bestmöglich positioniert.
Für ep bei ZF in Alfdorf: Sarina Kaufmann
Bis vor kurzem unterstützte die Versuchsingenieurin Sarina Kaufmann für ep die Abteilung von Dr. Thomas Meinders. Als Spezialistin für Sensorsystemtechnik war sie zuständig für Systemtests von Mechanik, Aktorik und Steuergeräten. Beim ACR testete sie u. a. die Charakteristik der Gurtstraffung zur Reduzierung der Gurtlose, aber auch der Vorstraffung vor Crashs, den Rückzug des Gurts nach dem Abschnallen und das Vibrieren des Gurtbandes. „Die haptische Warnung wird vom Fahrer intuitiv als Warnfunktion richtig erkannt und bringt damit große Sicherheitsvorteile“, meint sie. „Zudem ist sie eine rein softwaretechnische Änderung des bestehenden Systems – ein hochintelligentes Extra!“
Text: Annette Schlenker
aus dem ep Magazin #19